Rede des Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Heinberg
Entsetzen, Trauer und Entschlossenheit – diese drei Begriffe kamen mir unmittelbar, nachdem ich von dem fürchterlichen Anschlag und versuchtem Massaker und der Ermordung von zwei Menschen vor wenigen Wochen in Halle gehört hatte, in den Sinn.
Ich frage mich, welcher Schoß da noch fruchtbar ist, der einzelne feige Täter oder auch feige Tätergruppen dazu bringt, Menschen wegen ihrer Hautfarbe, Religion, sexuellen Orientierung oder Herkunft zu verfolgen, seelisch oder körperlich zu verletzen, zu ermorden oder zu Gewalt, Hass und Diskriminierung aufzurufen.
Weil es zu unserer politischen DNA gehört, wird die CDU-Fraktion heute erneut und wie schon oft gemeinsam mit SPD und Bündnis 90/Die Grünen eine Resolution hier im Rat verabschieden, die sich gegen jegliche Art von Rassismus und Diskriminierung wendet – entschlossen, stark und unmissverständlich!
Zum ersten Mal machen wir in einer Resolution das Leid, die systematische Verfolgung und Ermordung von Sinti und Roma zum Thema. Der Begriff „Antiziganismus“ wird seit Mitte der 1980er Jahre als Bezeichnung für den weit verbreiteten Rassismus gegenüber Menschen, die als ‚Zigeuner‘ stigmatisiert werden, verwendet.
Auch heute ist „Antiziganismus“ in Europa weit verbreitet. Die verschiedenen Klischees des ‚Zigeuner‘-Konstrukts – das angebliche Betteln und Stehlen, Wahrsagen und Musizieren, das heimatlos Umherziehen, schmutzig, unzivilisiert und integrationsunwillig Sein – finden sich auch in Deutschland in Medien, Politik, Kultur und am Stammtisch wieder. Auch die Situation der Gruppen, die häufig von Antiziganismus betroffen sind, hat sich nicht verbessert: Noch immer müssen viele Sinti und Roma in vielen europäischen Ländern Ost- und Westeuropas in Slums, Notunterkünften oder eigenen Stadtvierteln leben, werden von Schulbildung, Gesundheitsversorgung, Arbeits- und Wohnungsmarkt ausgeschlossen und sehen sich antiziganistischen Übergriffen und Diskriminierungen ausgesetzt.
Rassismus und Diskriminierung gehören zu einer Art Alltag, mit der wir uns nicht abfinden wollen! Und Terrorismus von rechts wie links oder aus religiösen oder ethnischen Gründen müssen auf unser aller Widerstand treffen – wir müssen und können uns als Stadtgesellschaft dagegen wehren!
Wir werden unseren Teil dazu leisten, Rechtsextremismus und Antisemitismus entschlossen und kraftvoll zu bekämpfen. Wir brauchen eine Handlungsoffensive gegen rechtsextremistischen Terror. Wir wollen, dass unsere staatlichen Sicherheitsbehörden zu einem harten, entschlossenen und konsequenten Durchgreifen befähigt bleiben oder befähigt werden. Dazu gehören unter anderem ein noch besserer Schutz von Synagogen und jüdischen Einrichtungen, ein strengeres Waffenrecht durch Abfrage der Waffenbehörden beim Verfassungsschutz, das Verbot von rechtsextremistischen Gruppierungen durch das Bundesinnenministerium und insbesondere eine bessere Ausstattung und mehr Befugnisse für unsere Sicherheitsbehörden – offline, aber genauso online. Polizei und Sicherheitsorgane müssen in die Lage versetzt werden, extremistische Kommunikationsnetze besser zu überwachen. Wir dürfen es uns nicht mehr erlauben, dass wir hier im Dunkeln tappen und blind sind gegenüber rechtsextremistischen Umtrieben.
Gleichzeitig – und ebenso wichtig – brauchen wir eine Vertrauensoffensive für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung. Der Kampf gegen Extremismus jeder Art ist nicht alleine eine sicherheitspolitische Aufgabe. Es ist unsere gemeinsame dauerhafte Aufgabe, die Bürger unsere Stadt und die Menschen, die bei uns leben, immer wieder aufs Neue für unseren Staat, seine Werte und seine Ordnung zu gewinnen. Nur wenn wir den Zusammenhalt unserer offenen Gesellschaft aktiv als ständige Aufgabe aller Bürger und gesellschaftlichen Akteure begreifen, erreichen wir eine Gesellschaft, die nach innen integrativ wirkt.
Der Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung duldet weder Alternativen noch Ausnahmen noch Relativierungen noch graduelle Abstufungen. Er ist allumfassend und richtet sich gegen jedwede Formen von Diskriminierung und Gewalt auf welcher Grundlage auch immer sie erfolgen. Und besonders wichtig: Der Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung hat in Gelsenkirchen Tradition – das macht Mut, das macht Hoffnung und ist ein Zeichen, auch in diesen Tagen wieder, an die Mitglieder der Jüdischen Gemeinde in Gelsenkirchen, dass wir zusammenstehen und füreinander Verantwortung übernehmen.
"Vor Antisemitismus", so schrieb es Hannah Arendt im Jahr 1941 bitter-ironisch, und die meisten von Ihnen kennen diesen Satz, "vor Antisemitismus aber ist man nur noch auf dem Monde sicher". Antisemitismus ist auch fast 80 Jahre später mitnichten überwunden – bei uns in Deutschland nicht und auch bei vielen unserer europäischen Nachbarn nicht. Heute steigt in Deutschland die Zahl antisemitischer Straftaten sogar wieder.
Nein zu Antisemitismus, nein zu rechter Hetze, nein zu Antiziganismus, nein zu Gewalt, Hass und Diskriminierung. Ja zu einer offenen, toleranten, sicheren, solidarischen und zukunftsorientierten Gesellschaft – hier in Gelsenkirchen und überall.